Yoga Sutra I-50: Dieses neue Wissen aus Nirvichara Sampatti erzeugte neue Eindrücke im Unterbewusstsein (Samskaras), welche die ungüstigen bisherigen Samskaras ersetzen
Dies ist eine spannende Sutra: Das Wesen des Yogis wandelt sich durch seine Erkenntnisse in Nirvichara Samapatti. Genauer: Seine Samskaras, seine Eindrücke im Unterbewusstsein. Iyengar: "Ein neues Leben beginnt mit diesem wahrheitstragenden Licht." Wohin kann das führen?
Hinweis zu den folgenden Sutra-Übersetzungen: Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.
Sukadev: "Die daraus entstandenen Eindrücke ... ersetzen ..."
Swami Satchidananda: "Die Eindrücke, die durch diesen Samadhi produziert werden ..."
R. Skuban: "Die [durch Nirvichara Samapatti entstehenden] mentalen Eindrücke ... löschen alle anderen Eindrücke aus."
Iyengar: "... verhindern das Entstehen anderer Eindrücke."
R. Steiner: "... die andere Prägungen (Samskara) ersetzt"
12koerbe.de "... andere subtile Eindrücke verdrängend"
Vyasa Houston: "... prüft andere Sanskara."
Govindan: "Die unterbewussten Eindrücke, die aus dieser ... [erfassenden Bewusstheit] entstehen, verhindern ..."
R. Sriram: "Die Prägung solcher Erkenntnisse löst die Neigungen in uns auf ..."
R. Palm: "... bindet die anderen Prägungen zurück."
Deshpande/Bäume: "Die aus dieser Weisheit entsprungenen ... Eindrücke verdrängen ..."
Chip Hartranft: "... die die Aktivierung anderer Eindrücke verhindern."
Swami Vivekananda: "... behindert alle anderen Eindrücke."
Feuerstein: "Die durch diese [Wahrheitsschau] entstehende Wirkkraft ... lähmt die anderen ... Antriebskräfte."
Barbara Miller: "Ein unterschwelliger Eindruck, der durch Weisheit erzeugt wird, ..."
Recht unterschiedlich zu den anderen Übersetzungen die Übersetzung von Coster: "Auf dieser Bewusstseinsstufe werden ... alle Gedanken in den einen zusammengeführt ..."
sanskrit-sanscrito.com.ar: " Der latente Eindruck ... des ... Prajñā, der in Nirvicārasamādhi ... entstanden ist, behindert ... die anderen ... latenten Eindrücke ..."
Die bunte Welt in unserem Kopf. Bild von geralt auf Pixabay
Was sind Samskara?
kr = Sanskritwurzel für handeln
sam = angesammelt;
Samskara = angesammeltes Handeln;
Manche übersetzen Samskaras mit "psychische Muster", andere mit "unterbewussten Eindrücken" . Swami Sivananda: "Durch angenehme sowie schmerzliche Erfahrungen sammelt man Material und baut daraus mentale und moralische Konstrukte."
So klein, und doch schon ein beschriebenes Blatt
Samskaras, die "Eindrücke bzw. Prägungen im Unterbewusstsein" können zum einen angeboren sein. Das wären dann bestimmte Talente wie Musikalität, handwerkliches Geschick oder eine besondere Empathie. Swami Sivananda: "Wenn du geboren wirst, ist der Geist nicht ein Tabula Rasa ... ist ein Lager von Samskaras, Prädispositionen, Vorlieben." Anders ausgedrückt: Samskaras sind (auch) unser karmisches Erbe an mentalen und emotionalen Mustern.
Samskaras steht im Hinduismus ebenfalls für Rituale in Zeiten des Übergangs, z. B. zur Geburt oder Hochzeit. Diese sind hier natürlich nicht gemeint.
Samskaras umfassen auch unsere Zuneigungen und Abneigungen und haben damit eine unterbewusste lenkende Wirkung auf unseren Geist. Ob du Bewegung magst, gerne Chips isst oder bei Beethoven schnell wegschalten musst.
Samskaras sind verantwortlich dafür, ob du zum Spirituellen neigst. Ob du zu Wut und Ärger neigst oder ob du vornehmlich gute Gedanken zu deinen Mitmenschen hast.
Wir tauchen tiefer in die Welt des Samadhi ein. Sutra I-18 erläutert Virama-Pratyaya. Dieser Zustand muss schon sehr wonnevoll und reich an intuitiven Erkenntnissen sein. Aber Achtung! Es droht Gefahr ...
Parinâma-tâpa-samskâra-duhkhair guna-vritti-virodhâch cha duhkham eva sarvam vi-vekinah परिणाम ताप संस्कार दुःखैः गुणवृत्तिविरोधाच्च दुःखमेव सर्वं विवेकिनः
Dieser Aspekt der Karmalehre trifft oft auf taube Ohren, obwohl es sich um eine ganz entscheidende Grundlage aller indischen Philosophien handelt. Wir hören einfach nicht gerne, dass wir letztendlich – wenn wir nur weise genug sind – alles in dieser Welt als unattraktiv und sogar leidvoll ansehen (sollten). Doch obgleich die Konsequenz aus dieser Sutra unangenehm scheint, lohnt es sich, die Auslegungen hierüber zu kennen. Denn auch dieses Postulat aus der Yogaphilosophie können wir positiv für uns nutzen.
Mit Sutra III-9 beginnt sie, die Reise in die Tiefen des Geistes. Der buddhistisch geprägte Kommentator Wim van den Dungen umschreibt den folgenden Abschnitt im Yogasutra mit der Überschrift „Transformation“. Andere titeln: „Making the Change, Being the Change, The Great Shift” (den Wandel vollziehen, die Veränderung sein, der große Wandel).
Worum geht es? In der Philosophie des Yogasutra ist jedes Objekt der Gegenwart ein Ergebnis der Vergangenheit. Die Eigenschaften, Wechselbeziehungen und Veränderungen der drei Gunas (Eigenschafte/Kräfte) machen die ganze Welt aus (Sanskrit: Prakriti). Auch unser Geist, Chitta, ist Teil von Prakriti und kann somit umgewandelt werden.
Im Folgenden erläutern Patanjali und die Kommentatoren des Yogasutra die erste Verwandlung - nirodha parinama: wie wir unseren Geist in Richtung Stille, Frieden und schließlich Samadhi verändern können.
Der Pfad der Selbsterkenntnis führt unweigerlich in unsere unterbewussten Prägungen, die wir alle zahlreich in unseren tieferen Hirnschichten abgespeichert haben. Die sich unserem Verstand nicht zu erkennen geben, deren Auswirkungen wir aber beobachten können. Patanjali erläutert hier, dass Samyama über diese unterbewussten Prägungen uns sogar zu Wissen über frühere Geburten verhelfen kann. Wie soll das funktionieren?
Im Buddhismus werden diese Samskaras zu den fünf "Skandhas" gezählt. Pāli: khandha, Deutsch: Anhäufungen; Zitat Wikipedia zu Samskaras im Buddhismus: "Alle heilsamen und unheilsamen (guten und schlechten) Willenstätigkeiten sind hier eingeschlossen. Interessen, Willensregungen, Sehnsüchte und Tatabsichten. Der Mensch reagiert und interpretiert die Wahrnehmungen. Dieser vierten Gruppe [= Samskaras] kommt eine herausragende Bedeutung für die zukünftige Existenz zu, denn hier entstehen Vorstellungen, Begierden und Sehnsüchte, die das Handeln beeinflussen und bei deren Erfüllung neues Karma angehäuft wird."
Buddhistische Einsichtsmeditation – Vipasana – bedarf vorab einer Beruhigung des Geistes (z. B. per Ruhemeditation), um die heilsamen Gedanken (Prägungen!) bis in die Tiefen des Unterbewusstseins zu führen.
Samskaras und spiritueller Fortschritt
Es gilt, Samskaras bewusst zu machen und dann nach und nach zu verändern.
Ziel von Yogis und Buddhisten auf dem spirituellen Pfad ist zunächst, die negativen Samskaras zu verlieren (bzw. zu schwächen) und die positiven Samskaras zu stärken. Später gilt es dann, mit der Kraft von Samadhi alle Samskaras zu "verbrennen". Iyengar: "Frühere Eindrücke werden zurückgelassen und das Entstehen neuer unterbunden."
Positive Gedanken,
Mitgefühl,
Mitfreude,
Drosselung der eigenen Gier
...
Yoga und Buddhismus kennen viele Möglichkeiten, die eigenen Samskaras positiv zu verändern.
Wozu der Aufwand? Gute Samskaras haben eine heilende und beruhigende Wirkung auf den Geist. Darum kann der Geist tiefer in die Meditation gehen und sich in Richtung Erleuchtung entwickeln.
Sukadev verweist gerne darauf, dass es drei Ursachen im Yoga gibt, welche den spirituellen Fortschritt bremsen:
Samskaras
Karma
Mangel an Energie
Swami Sivananda mahnt, dass sich die negativen Samskaras erheben, wenn der Yogaschüler sich besonders um geistigen Fortschritt bemüht. "Wie ein Steinblock" stellen sich ihm alte Eindrücke von Hass, Eifersucht, Furcht und Co. entgegen. Doch er ermutigt auch: Wenn sich der Schüler davon nicht demotivieren lässt, werden diese negativen Samskaras vergehen.
"Die Samskaras werden durch Samadhi verbrannt. Nur dann bist du von Geburt und Tod befreit."
Swami Sivananda
Gute Samskaras
Nehmen wir das Beispiel Wut. Wütende Handlungen hinterlassen schlechte Samskaras. Wenn du das nächste Mal Wut verspürst, übe z. B. liebende Güte Meditation.
Oder nehmen wir an, du bekommst zuviel Geld an einer Kasse wieder. Deine Gier ermuntert dich: Behalte es einfach. Das merkt der Laden doch gar nicht.
Besser im Sinne der Umwandlung negativer Samskaras wäre: Übe stattdessen Mitgefühl.. Versetze dich in die Rolle des Ladenbesitzers oder der Kassiererin, die vielleicht für den Schaden gerade stehen muss. Wie würdest du jetzt handeln?
Vermutlich handelst du dann positiver und wirst dadurch gute Samskaras in einem Unterbewusstsein etablieren.
Weniger unterdrücken, lieber positive Samskaras fördern
Aber: Bei manchen, hartnäckigen und tief verwurzelten Samskaras ist ein kämpferisches Entgegengehen ohne große Erfolgschance. Erfolgversprechender ist es dann, durch Meditation und andere Yoga-Praxis, Bewusstwerdung und Beobachtung der Samskaras zu üben und damit diese Stück für Stück aufzulösen.
Der Samadhi-Test
Sukadev schreibt, dass uns diese Sutra einen guten Test an die Hand gibt, ob unser tolles Meditationserlebnis wirklich Samadhi war. "War es Samadhi, dann ändert dieses Erleben etwas Grundlegendes in uns. Wir sind nicht mehr so wie vorher." Unser ganzes Denken und unsere Wünsche wandeln sich.
Lichtfluten alles verändernder Erkenntnisse
Zur Verdeutlichung der erhellenden Wirkung des Wissens, das aus Nirvichara Samadhi erwächst, verwenden die Kommentatoren gerne Lichtbilder. Vyasa, einer der ersten und wichtigsten Kommentatoren des Yogasutra von Patanjali, schreibt von einem "immensen Leuchten der Weisheit". Sämtliche Prägungen unserer Vorleben werden gereinigt.
Deshpande: "Diese neue Einsicht verbrennt alle Eindrücke aus der anfanglosen Vergangenheit ..."
Aber: Der Yogi kann das Eintreffen solchen Wissens (zunächst) nicht willkürlich herbeirufen. R. Palm: "... beruht dieses ... Erlebnis auf Gnade, kann also nicht willentlich herbeigeführt werden."
Govindan: "Der Yogin ist an nichts mehr gebunden." (kann aber dennoch ein normales Leben führen)
Kabir Zitate
Kabir-Briefmarke von 1952
Kabir (* 1440, † 1518 in Maghar) war ein indischer Mystiker, der das Ideal einer einigen Menschheit vertrat. Seine Zitate drücken diese Stufe des Yogapfades in prägnanten Worten aus:
"Das Eine betritt das Gesamte. Das Gesamte betritt jenes. Kabîr betritt die Erkenntnis. Nicht die polare Welt."
"Ich zitiere nicht aus den Schriften; Ich sehe einfach was ich sehe."
"Wissen vor Dir, hinter Dir, Wissen rechts und links von Dir. Das Wissen jenseits des Wissens, ist mein erkanntes Wissen."
Das Ende des Yoga-Pfades ist in Sicht
Ein kleiner Rest des Weges bleibt noch zu gehen
Mit einer Ausnahme – Swami Satchidananda schreibt, dass der Yogi an diesem Punkt bereits ein Jivanmukta (ein lebend Befreiter) wäre – gilt für die meisten Kommentatoren: Trotz all des neuen Wissens und dem grundlegenden Wandel des Yogis durch Nirvichalpa Samadhi ist das Ziel des Yogas noch nicht erreicht.
Govindan: "Es herrscht [nach wie vor] das Gefühl - Ich bin - vor."
Iyengar: "Schwankungen des inneren Sinns können immer noch neue Samskaras entstehen lassen."
Skuban: "In asamprajnata (bzw. Nirvichara Samadhi) ruht das Bewusstsein zwar schon in sich selbst, doch birgt e s noch Samen (samskaras) ... die bei Gelegenheit reifen und wachsen." Der Yogi muss weitergehen ...
In den rechten Tabs finden sich Videos zu dieser Sutra. Leider nur noch auf Englisch. Zu den ersten Sutra gibt es noch eine Reihe von deutschen Videos, siehe die dortigen Vorschläge.
Yoga Sutra I-50: Dieses neue Wissen aus Nirvichara Sampatti erzeugte neue Eindrücke im Unterbewusstsein (Samskaras), welche die ungüstigen bisherigen Samskaras ersetzen
Bewertung: 5 / 5
Geschrieben von
Peter Bödeker
Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.
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