Vitarka–vichâra-ânandâ-asmitâ-rupa-anugamât samprajñâtah
वितर्कविचारानन्दास्मितारुपानुगमात्संप्रज्ञातः
Es ist hochinteressant, wie (unterschiedlich) sich der Weg hin zum und der Entwicklungsverlauf im Samadhi vollzieht. Bei der Deutung von Sutra I-17 weisen die Übersetzungen jedoch deutliche Unterschiede auf. Was nicht verwundert, da wir in einen Bereich des Yoga vordringen, der erst nach langer Praxis erreicht wird: Samadhi. Zudem werden die Erfahrungen hier subjektiv durchlebt und können schwer in Worte gefasst werden.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:
- Vitarka = logisches Denken, urteilen, argumentieren; oberflächliches, grobstoffliches Wissen; Beobachtungsvermögen, diskursives Denken;
- Vichar, Vichara, vichâra = überlegen, nachdenken; Reflexion, Urteilskraft; Vernunft; tief greifendes, feinstoffliches Wissen;
- Ananda, ânanda = endloses Glück, Glückseligkeit, Freude;
- Asmita, asmitâ = Einssein mit sich selbst; Bewußtheit des Selbst; Ich–Sein; Gefühl der Individualität, Gefühl reinen Seins; Gefühl: Ich bin angekommen; Gefühl: Ich bin identisch geworden mit dem Ziel;
- Rupa = die Form, die Erscheinung (dieses Zustandes/Gefühles), das Wesen;
- Anugamat, anugamât = in Verbindung, aus diesen Schritten heraus; begleitet von, folgend;
- Samprajna, samprajñâ = deutlich erkennen, wirklich wissen, vollkommenes Wissen; unterscheidende, objekt-orientierte kognitive Versenkung;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
- Wisdom Library
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
3. Samadhi
Hier folgt eine "Kurzübersicht" über die Stufen des Samadhi. Der "Artikel zu Samadhi" geht tiefer auf die einzelnen Stufen ein, listet potentielle Meditationsobjekte auf, nennt weitere Interpretationen sowie Tipps und listet Videos auf.
Samadhi ist das letzte Glied im achtfachen Yogapfad und soll mit fantastischen Erlebnissen einhergehen. In den Yogasutras und anderen Schriften wird Samadhi nochmals in mehrere Stufen unterteilt. Den Anfang macht diese Sutra I-17.
Die geläufigste Einführung in Samadhi lautet:
Samadhi meint, dass du dich mit einem Mediationsobjekt vereinst
und am Ende mit "dem Höchsten" verschmilzt.
Samadhi ermöglicht laut Eliade auf Seite 89 eine Selbstoffenbarung des Purusha. Diese Selbstoffenbarung führt zur Befreiung, zur Vereinigung (Union), dem Ziel des Yoga. "Freiheit von Leid erzeugenden Taten und Zielen, von den Gunas und von der Zeit". (Iyengar)
Samadhi ist das letzte Glied im achtfachen Yogapfad und das Ergebnis zahlloser Meditation.
* Hier endet die spirituelle Reise * (Iyengar)
4. Die zwei Hauptunterteilungen von Samadhi
- Samprajnata-Samadhi
(Sam-Prajnata = mit Bewusstheit von etwas) bewusstes Bemühen mittels eines Objektes, eines Gedankens, einer Idee oder indem man das Denken auf einen Punkt im Raum richtet - eines Keimes. Welches immer noch Samen hervorbringt. (Samen: weil noch etwas aus den Taten folgt. Auch die Meditation bildet weiterhin Samen.) Der noch dualistische Samadhi. - Asamprajnata Samadhi
(Asam-Prajnata = ohne Bewusstheit von etwas) Samadhi ohne ein Hilfsmittel. Außerhalb jeder äußeren oder inneren Beziehung (Eliade S. 90). Der nicht dualistische Samadhi. Reines Begreifen des Seins.
5. Samprajnata Samadhi - der "kleine" Samadhi
- Prajnata = Erkenntnis;
- Sam = Richtige;
- Samprajnata = richtige Erkenntnis oder wahre Einsicht;
Yoga-Roots fragt: "Was ist nun die Beschreibung von samādhi mit Erkenntnis (saṃprajñāta samādhi) von jemandem, dessen geistige Schwankungen mit Hilfe der beiden Methoden gestoppt wurden [d.h. Übung und Entbehrung]?"
Patanjali nennt mehrere Unterteilungen des Samprajnata Samadhi. Hier in Sutra I-17 nennt er vier "Stufen", die in späteren Sutras weiter unterteilt werden (siehe Artikel Samadhi).
5.1. 1. Vitarka: logisch-analytisch, urteilend
Tarka ist logisches Denken, das zu einem logischen Schluss kommt. Vitarka die Fähigkeit zu logischer Überlegung. Aber Vitarka ist hier ein yogischer Zustand und von daher natürlich anders als das normale logische Denken. Es wird alles negiert und nicht beachtet, was nicht für "das Dasein als Ganzes" (Deshpande S. 43) von Bedeutung ist.
Vitarka wird später in Savitarka und Nirvitarka weiter unterteilt. Dies sind laut Eliade "Erkenntniszustände, die durch Meditation über die formale Einheit der Objekte erreicht werden. Diese Stufen gilt es nun zu überschreiten, wenn man in die "Wesen der Dinge" eindringen will. Beide Stufen werden ausgiebig in den Kommentaren zum Yogasutra diskutiert und erläutert.
Yoga Roots übersetzt Vitarka mit "Aufmerksamkeit" und schreibt: "Aufmerksamkeit ist die grobe Ausweitung des Geistes auf seine Stütze."
5.2. 2. Vicara: Nachdenken/Vernunft
Vicara geht über Vitarka hinaus. Vicara wird von Deshpande als "prüfende Überlegung" übersetzt. Dieser Zustand ist "eine nicht endende Erforschung des eigentlichen Wesens des Lebens und des Seins".
Yoga Roots: "Die Reflexion [vicara] ist [gleich der Aufmerksamkeit vicara, aber] subtil.
Später, in Sutra I-44, wird Vicara weiter in Savicara und Nirvicara unterteilt.
5.3. Von der Erkenntnis zum Zustand
Eliade sieht auf Seite 90 das Vertiefen des Samadhi - Zustandes als einen Prozess von aufeinander aufbauenden Erkenntnis-Zuständen und der jeweiligen Kontemplation darüber. Kontemplation/Meditation über eine Erkenntnis führt zu einem neuen yogischen Zustand, ein tieferes Eindringen in die Wirklichkeit. Dieser Übergang von "Erkenntnis" zu "Zustand" ist für Eliade DAS Charakteristikum des Samadhi und jeder indischer Meditation. Hierbei findet der ersehnte Niveaubruch, das Voranschreiten, der Übergang vom Sein zum Erkennen.
5.4. 3. Ananda - Wonne, Glückseligkeit
Erfahrung des Glücks, der ewigen Lichtfülle und Selbstbewusstheit des Sattva. Wir erkennen eine allumfassende Wonne und Liebe im Universum.
5.5. 4. Asmita - Einssein mit sich selbst, (auch I-47)
Der Buddhi - der Verstand - reflektiert in Asmita nur noch das Selbst, nichts mehr in der äußeren Welt. Vijnana Bhiksu meint laut Eliade auf Seite 93 zu diesem Zustand: "Der Yogi begreift: Ich bin (asmi) etwas anderes als mein Körper." Yoga Roots übersetzt es als "einheitliches Bewusstsein".
6. Die Einsamkeit des Yogi
Deshpande (S. 44) schreibt: Der Yogi stelle im Asmita-Zustand fest "... Ich bin ich, ich bin nicht der andere und kann nie der andere sein." Dies berührt eine Ur-Angst: "... Es ist eine existentielle Einsamkeit, erfüllt von der Kraft des Seins, die nichts anderes werden will, weil sie klar sieht, dass jede Bewegung auf ein ’Werden zu' sich vom ’Sein' wegbewegt und daher eine selbstentfremdende Bewegung ist."
Letztendlich lebe man aber in einem Gefühl des Glückes und der Zufriedenheit mit dem, was ist. Man kenne keine Feindseligkeit mehr und habe nichts mehr zu verlieren. Aber vielleicht "... eine ganze Welt zu gewinnen".
Sukadev ergänzt: " Aber hier ist Asmitâ nicht als individuelles Ego gemeint, sondern als kosmisches Ego, als das kosmische Gefühl „Ich bin“."
7. Die Kette Vitarka-Vicara-Ananada-Asmita
Eliade (S. 90) zitiert für diese Kette wiederum Vijnana Bhiksu: "... die vier Termini rein technisch und werden ganz konventionell auf verschiedene Formen der Verwirklichung angewandt ... sie stellen einen Aufstieg dar. Die Gnade Gottes (Isvara) erlaubt in gewissen Fällen ein direktes Erreichen der höheren Zustände." Das Meditationsobjekt ist beim Durchlaufen der Stufen gleich zu halten. Diese vier Stadien tragen den Zustand Samapatti, Erlangungen, auch Sutra I-41.
Deshpande (S. 44) sieht hierin (stellvertretend für viele Interpreten) "vier Arten von Versenkung", für ihn zeigt sich eine Abfolge: "Es beginnt mit dem auf dem Ich gründenden logischen Denken und endet mit einer Erfahrung des reinen Ich-Seins."
Yoga Roots formuliert in Anlehnung an einen Kommentar zu dieser Sutra: "Von diesen der erste Samādhi, begleitet von diesen vier [d.h. Aufmerksamkeit usw.] ist [samādhi] mit Aufmerksamkeit (savitarka). Der zweite, der der Aufmerksamkeit beraubt ist, ist [samādhi] mit Reflektion (savicāra). Der dritte, der der Besinnung entzogen ist, ist [samādhi] mit Glückseligkeit (sānanda). Das vierte, das davon abgeschnitten ist, ist reiner Egoismus. Alle diese Samādhis sind mit Unterstützung."
8. Wie erkenne ich den Übergang von Dhyana zu Samprajnata Samadhi?
Hier fällt immer wieder das Wort "plötzlich". Wenn du plötzlich merkst, dass du das Meditationsobjekt bist, wenn du auf einmal das Mantra bist bzw. dich als die Bewusstheit der Mantrarezitation erkennst.
Anders ausgedrückt kann man sagen, dass es gilt, das eigene Ego zu überwinden. Nicht mehr "Ich konzentriere mich auf ein Mantra" sondern wahrnehmen: "Da ist Konzentration auf ein Mantra" und dann, der Übergang von Samprajnata Samadhi zu Asamprajnata Samadhi: Da ist (nur noch) Konzentration.
9. Zusammenfassung Samprajnata: Samadhi mit Objekt
Sutra I-17 beschreibt einen hohen Yoga-Zustand, Samprajnata Samadhi. Völlige Befreiung ist noch nicht erreicht, aber die Erfahrungen sind bereits sehr tiefgehend.
Samprajnata heißt Samadhi mit vollkommenem Erkennen, ein Überbewusstsein mit Erkenntnis. Aber immer noch wird Erkanntes und Erkennender getrennt gesehen. Seher und Gesehenes. In Vorstufe zu Sutra I-18 gibt es noch ein Meditationsobjekt, einen Meditationsgegenstand, bei dem es sich um jede Form der Natur handeln kann. Einen Keim in der Meditation. Ein Samadhi, der "an äußere Erscheinungen gebunden" (Coster) ist.
9.1. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
9.2. Übung zu Yoga Sutra I-17
Übungsvorschlag für die kommende Woche:
Weitentwickelte Yogis sollten durch bewussten Durchlauf der vier Stufen(Vitarka, Vichârana, Ânanda und Asmitâ) sofort zu Samadhi gelangen. Sukadev ermuntert dazu, ab und an mal den Durchlauf durch diese vier Stufen "auszuprobieren". Auch wenn man noch kein großer Meister sei.
Anregung für die kommende Woche: Suche dir eines der Meditationsobjekte im Beitrag Samadhi und versuche damit, obige vier Stufen zu durchlaufen.
11. Videos zu Sutra I-17
Leider verbleiben nur noch englische Videos, die sich mit dieser Sutra beschäftigen. Wenn du ein deutschsprachiges Video kennst, nenne es bitte unten in den Kommentaren. Danke!
{tab Dr. Kausthub Desikachar}
Dr. Kausthub Desikachar zu Sutra I-17:
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{tab Nayaswami Asha zu Sutra I-17 bis I-19}
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