silberfigur medi 250Tasmin sati shvâsa-prashvâsayor gati-vicchedah prânâyâmah
वाह्याभ्यन्तरस्तम्भवृत्तिः देशकालसङ्ख्याभिः परिदृष्टो दीर्घसूक्ष्मः

 

In dieser Sutra wird Patanjali zum Glück deutlicher in Bezug auf Pranayama. Aber dennoch bleibt viel Interpretationsspielraum zu den einzelnen Gliedern des Pranayama und deren korrekter Regulierung. Manche Kommentatoren lehnen eine Regulierung des Atems sogar komplett ab und wollen Pranayama auf Beobachtung und subtile Steuerung beschränken.

In II-50 werden die einzelnen Bestandteile und das Ziel des Pranayama angesprochen ► Was wird unter „Zeit, Ort und Anzahl“ verstanden? ► Wie verlängern und verfeinern? ► Übersetzungsalternativen ► Lohn der Pranayama-Praxis

Inhalt: Yogasutra Kapitel 2, Vers 50

Punkt 1

1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits

Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:

  • Bahya, bāhya = Ausatmen; Äußeres; draußen; Außen; extern; nach außen; äußerlich;
  • Abhyantara = Einatmen; Inneres; Zwischenraum; Innen; intern; nach innen; innerlich;
  • Stambha = Anhalten; Unterdrückung; Festigkeit; Ruhe; Unterstützung; stationär; festgehalten; unterdrückt; angehalten;
  • Vritti, vṛtti = (Gedanken-)Welle; Bewegung des Geistes; Gedanke; Bewegungen; Fluktuation;
  • Bahyavrtti = äußere Tätigkeit; Ausatmung;
  • Abhyantaravrtti = innere Tätigkeit; Einatmung;
  • Sthambhavrtti = starre Tätigkeit; das Anhalten;
  • Desa, deśa = Technik (des Atems); Ort; Thema (der Konzentration); Raum;
  • Kala, kāla = Zeit; Zeitpunkt; Länge; Dauer (von Ausatmung, Einatmung und Anhalten);
  • Samkhyabhi, saṁkhyābhi, Samkhya = Anzahl (der Atemzüge); Mathematik; Berechnung; Zahl; Genauigkeit; durch Zählen;
  • Paridrsta, paridṛṣṭa = reguliert; (genau) beobachtet; gemessen; (genau) geprüft; gesehen; betrachtet; wahrgenommen;
  • Dirgha, dīrgha = verlängert; lange; erhaben; hoch-aufragend;
  • Suksma, sūkṣma = verfeinert; fein, subtil; dünn; kurz;

2

2. Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Hervorhebungen weisen auf Besonderheiten der jeweiligen Übersetzung hin. Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.

  • Roots: „[Atemkontrolle] ist äußerlich, innerlich oder angehalten; reguliert nach Ort, Zeit und Anzahl; [und] lang und subtil.“
  • Sukadev: „Pranayama ist Einatmung, Ausatmung oder Anhalten des Atems ...“
  • Deshpande/Bäumer: „... und sie ist lang und subtil, wenn Ort, Dauer und Zählung beobachtet werden.“
  • Dr. R. Steiner: „... müssen über lange Zeit sehr genau reguliert werden.“
  • Coster: „-“
  • Feuerstein: „[Atemkontrolle gilt für das] Außen, Innen und das Anhalten ... reguliert von Ort, Zeit und Anzahl ... lang oder kurz ...“
  • R. Palm: „Die [Atemausdehnung hat] Bewegung nach außen, nach innen [und wird] zurückgehalten ...“
  • R. Sriram: „... umsichtigen Einfühlen in die Ausatmung, die Einatmung und das Anhalten ... wird der Atem lang und zugleich sanft geführt.“
  • Govindan: „... Er wird gemessen nach Zeit, Raum und Zahl und [wird] lang und fein.“
  • Iyengar: „... Alle drei sind entweder lang oder subtil und hängen von Ort, Dauer und Zählung ab.“
  • Chip Hartranft: „Wenn die Bewegungsmuster jedes Atems - Einatmung, Ausatmung, Pause - in Bezug auf Dauer, Anzahl und Bereich des Fokus beobachtet werden, wird der Atem weitläufig und subtil.“
  • R. Skuban: „... werden hinsichtlich der Dimensionen Ort, Zeit und Zahl reguliert ... Ziel, sie zu verlängern und zu verfeinern.“
  • T.K.V. Desikachar: „... werden reguliert, indem wir das Verhältnis ihrer Länge zueinander bestimmen, dieses Atemverhältnis über eine gewisse Anzahl von Atemzügen beibehalten ...“
  • G. Pradīpaka: „(Prāṇāyāma) hat (drei) Operation(en) (vṛttiḥ): (1) Äußeres (vāhya), (2) Inneres (ābhyantara) und (3) Unterdrückung (stambha). (Und wenn Prāṇāyāma (paridṛṣṭaḥ) nach Raum (deśa), Zeit (kāla) und Zahl ... (saṅkhyābhiḥ) beobachtet wird, wird es lang (dīrgha) und feinstofflich (sūkṣmaḥ).“
  • 12koerbe.de: „aus-, ein- und angehaltene (Atem-) Regung, ... langdauernd und fein“
  • Hariharananda Aranya: „Das (Pranayama) hat externe Betätigung (Vashya-Vrtti), interne Betätigung (Abhyantara-Vrtti) und Unterdrückung (Stambha-Vrtti). Diese wiederum werden, wenn sie nach Raum, Zeit und Zahl beobachtet werden, lang und subtil.“
  • I. K. Taimni: „(Es ist in) äußerer, innerer oder unterdrückter Veränderung; es wird durch Ort, Zeit und Zahl reguliert, (und wird fortschreitend) verlängert und subtil.“
  • Vyasa Houston: „(Pranayama hat) äußere, innere oder unterdrückte Modifikationen, (und wird) lang und subtil, wenn es durch Ort (der Atembewegung im Körper), Zeit (Länge der Einatmung, Ausatmung und Zwischenräume) und Anzahl reguliert wird.“
  • Barbara Miller: „Die Veränderung des Atems beim Ausatmen, Einatmen und Zurückhalten ist wahrnehmbar, da die tiefe und flache Atmung dadurch reguliert wird, wo der Atem gehalten wird, wie lange und für wie viele Zyklen.“
  • Swami Satchidananda: „Die Modifikationen des Lebensatems sind entweder extern, intern oder stationär. Sie sind nach Raum, Zeit und Anzahl zu regulieren und sind entweder lang oder kurz.“
  • Swami Prabhavananda: „Der Atem kann äußerlich oder innerlich angehalten oder in der Mitte der Bewegung kontrolliert werden, und er ist nach Ort, Zeit und einer bestimmten Anzahl von Momenten zu regulieren, so dass der Stillstand entweder lang oder kurz ist.“
  • Swami Vivekananda: „Seine Modifikationen sind entweder äußerlich oder innerlich oder bewegungslos, reguliert nach Ort, Zeit und Anzahl, entweder lang oder kurz.“
  • Wim van den Dungen (buddhistischer Kommentar zum Yogasutra): „Die Atemkontrolle ist äußerlich, innerlich & fest in ihrem Fluss, sie wird durch Ort, Zeit & Anzahl reguliert, sie kann in die Länge gezogen oder verkürzt werden.“
  • Rainbowbody: „Durch das Überblicken (paridrasta) und Analysieren (samkhyabhih) der Schnelligkeit, des Ortes (desa) und der Dauer oder Länge (kala) der Einatmung (abhyantara) und Ausatmung (bahya) der Atemvorgänge (vrtti) in Beziehung zu ihren Ruhepunkten (stambha) und/oder ihren Drehungen/Bewegungen (vrttir) wird die Energie erweitert (dirgha) und verfeinert und subtiler (suksmah).“
Zu den Quellen

Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:

Bücher

Internetseiten

Dein Übersetzungsvorschlag

Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.

Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?

Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)

 

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Punkt 3

3. Wo wir stehen

Hier findest du eine kurze Zusammenfassung des 2. Kapitels des Yogasutras bis zu Sutra II-49:

Yoga Sutra - 2. Kapitel - bis hierher

Wir befinden uns im zweiten Kapitel des Yogasutra von Patanjali. Es handelt von der „Praxis“. Patanjali beginnt das Kapitel mit dem Versprechen, dass Yoga die Leiden des Yogis vermindere und (irgendwann) zu Samadhi, zur allumfassenden Freiheit führe.

In Sutra II-3 bis II-11 schildert Patanjali die fünf Haupt-Hindernisse auf dem Yogapfad, die sogenannten Kleshas (Unwissenheit, Anhaftung, Ablehnung, Ego, Lebensdrang). Erste Wege zur Überwindung der Hindernisse werden angerissen (Gegenschöpfung, Meditation).

Sutra II-12 bis II-15 handeln von Karma (Folgen von Handlungen und Gedanken, die aufgrund der Kleshas geschehen) und dem inhärenten Leid von allem und jedem in dieser Welt. Grundübel ist dabei unsere Identifikation mit dem, was wir nicht sind.

Dann geht es bei den Sutras weiter mit den Schritten, das Leiden zu besiegen. Patanjali sieht es als „die“ Aufgabe des Yogis an, den Unterschied zwischen Sehenden und Gesehenem zu erkennen. Nach und nach sollte diese Erfahrung kultiviert und ausgebaut werden. So gelange man zur Freiheit – Kaivalya (auch mit „letzter Freiheit“, Isoliertheit (Alleinheit), höchster Befreiung oder „vollkommener Erlösung“ übersetzt.

Nachdem Patanjali in den Sutras II-18 und II-19 über Prakriti, die Natur/unsere Welt, gesprochen hat, geht er dann auf deren Beobachter, den Seher (Purusha) und dessen Wahrnehmung ein. Von Sutra II-20 bis Sutra II-27 erläutert Patanjali Grund und das Zustandekommen unserer Existenz, wie die Unwissenheit unser Dasein bestimmt und  dass Viveka Khyati, die Unterschreidungskraft oder unterscheidende Wahrnehmung, dauerhaft angewendet unsere Unwissenheit beendet. In den Sutras II-28 bis Sutra III-8 gibt Patanjali die konkrete Praxisempfehlung Ashtanga Yoga, um unser falsches Bild von der Welt – das Leid verursacht und unsere Befreiung verhindert – auch ohne großes spirituelles Talent zu überwinden. Den achtfachen Pfad des Raja Yoga, des königlichen Yoga.

In Sutra II-30 zählt Patanjali auf, was zur ersten Stufe des Pfades, den Yamas, gehört, in II-31 betont er deren universelle Gültigkeit. In II-32 listet er die Niyamas auf, die yogischen Empfehlungen für den Umgang mit uns selbst. In II-33 und II-34 benennt er, welche Folgen sich daraus ergeben, wenn unser Geist sich weigert, die Yamas und Niyamas zu befolgen und was wir dagegen tun können: die Kultivierung des gegenteiligen Gedankens/Zweifels (Pratipaksha Bhavana). Die Sutra II-35 (Ahimsa-Nichtverletzen) bis II-39 (Aparigraha-Begierdelosigkeit) schildern die besonderen Kräfte und Fähigkeiten, die ein Mensch erlangt, wenn er die Yamas tief in sich verwurzelt. In den Sutras II-40 bis II-45 schildert Patanjali die segensreichen Folgen Einhaltung der Niyamas

Sutra II-46 bis II-48 handeln von Asana, der (Sitz-)Haltung. Patanjali fordert hier: 

  • II-46: unbewegt und bequem
  • II-47: entspannen und auf das Unendliche ausrichten
  • II-48: wenn gemeistert, frei von Dvandvas (Gegensatzpaaren)

In Sutra II-49 bis II-53 kommen wir zur vierten Stufe des achtfachen Pfades (nach Yama, Niyama und Asana): dem Pranayama. Iyengar: „Pranayama .... ist für den Yoga das, was das Herz für den menschlichen Körper ist“. In Sutra II-50 erläutert Patanjali, was Pranayama beinhaltet und wie es geübt wird.

Punkt 4

4. Die ganze Welt des Pranayama in einer Sutra

Patanjali beschreibt in dieser Sutra sowohl, was Pranayama ausmacht, als auch, wie es geübt wird. Iyengar: „Meisterschaft [im Pranayama] ist erreicht, wenn der Atem ein rhythmisches und harmonisches Maß bekommt“.

Der Atem kann sowohl willentlich gesteuert werden als auch autonom vor sich gehen. Darum ist er für viele Yogis eine „ideale Brücke zwischen diesen beiden Bereichen des Nervensystems ..., das aus reizleitenden und reizverarbeitenden Elementen besteht.“ (Palm, S. 125)

Punkt 5

5. Die Bestandteile des Pranayama

Hinweis: Siehe hierzu auch Erläuterungen in Sutra II-49

nase fein atmen 250Tasmin sati shvâsa-prashvâsayor gati-vicchedah prânâyâmah
तस्मिन् सति श्वासप्रश्वास्योर्गतिविच्छेदः प्राणायामः

Nun kommen wir zu Pranayama, der vierten Stufe des achtfachen Raja-Yoga-Pfades, wie er im Yogasutra vorgestellt wird.

Sutra II-49 wird von Vielen als Schlüsselsutra gesehen. Auch hier findet sich wieder ein relativ breites Spektrum an Übersetzungen sowie Verständnis von dieser Sutra. Pranayama bedeutet für einige mechanische Atemarbeit, andere verstehen darunter subtile Achtsamkeitsarbeit mit den feinstofflichen Energien.

In II-49 wird Pranayama eingeführt ► Was ist Prana? ► Was bedeutet Pranayama? ► Gründe für Pranayama ► Gefahren von Pranayama ► Übersetzungsalternativen ► Hintergrund ► Wirkungsabläufe ► ...

Hier weiterlesen

Patanjali definiert: Pranayama ist Einatmung, Ausatmung und Anhalten. Punkt. Drei Vorgänge.

  1. Einatmen
    Iyengar: „Purusha [das wahre Selbst] umarmt Prakrti [manifeste Natur].“
  2. Ausatmen
    Iyengar: „Beim Ausatmen vereinigt Prakrti sich mit Purusha“.
  3. Anhalten
    Das Anhalten nach dem Einatmen wird Antara-Kumbhaka genannt, das Anhalten nach dem Ausatmen Bahya-Kumbhaka.

Diese "Vorgänge" können variiert werden:

  • Desa: nach Ort
    Sukadev sagt, gemeint sei z. B. linkes Nasenloch, rechtes Nasenloch, Bauchatmung, Brustatmung, durch den Mund, durch die Nase ... Iyengar meint, dass mit dem Ort der Rumpf als Ort der Atmung zu verstehen sei. Swami Satchidananda hingegen: „Ort meint, wo wir die Aufmerksamkeit beim Atmen hinlenken – Nasenspitze, Basis der Wirbelsäule etc.“
  • Kala: nach Zeit, Länge, Dauer
    Hiermit meint Patanjali vermutlich die zeitliche Länge der einzelnen Atemvorgänge, z. B. vier Sekunden einatmen, sechs Sekunden anhalten und acht Sekunden ausatmen. Swami Satchidananda hingegen beschränkt: „Zeit meint, wie lang wir den Atem anhalten.“
  • Samkhya: Nach Anzahl / Genauigkeit
    Iyengar übersetzt Samkhya mit „Zählung“ oder „Genauigkeit“ und sieht dies als „... Grad der vom Sadhaka erreichten Grad der Läuterung und Verfeinerung“ an. Anders Sukadev, der meint, dass hiermit vermutlich die Länge der Pranayama-Sitzung gemeint sei, z. B. zehn Minuten Nadi-Shodana, 15 Minuten Kapalabhati und zehn Minuten Atembeobachtung.
    Palm (S. 125): „Mit Gesamtzahl [samkhya] ist das Verhältnis von Einatmen, Atemrückhalt, Ausatmen, Atemrückhalt gemeint.“ Zähleinheit im Hatha-Yoga sei hierbei die Rezitation einer Keimsilbe (bija).

Punkt 6

6. Stamba, nicht Kumbhaka

Rainbowbody verweist, wie schon im Kommentar zu Sutra II-49 zuvor, darauf, dass Prana Energie bedeutet und Ayama ausdehnen; so dass man durch Pranayama die unendliche Energiequelle durch den ganzen Körper ausdehnt, um jede Zelle im Körper mit der kosmischen Quelle zu vereinen und so die Nadis offen, ausgeglichen und ausgerichtet werden.

Rainbowbody weist ebenfalls darauf hin, dass das Anhalten des Atems im Sanskrit kumbhaka und nicht stamba heißt. Darum nehmen die Autoren an, dass Patanjali hier Stille meint, während die Energie zunehmend ausgedehnt, verfeinert, verdünnt, ausgeglichen und subtiler wird.

Anders deutet es R. Palm (S. 126): „Auf die Rhytmus-Unterbrechung (gati-viccheda) folgt die Rückhalte-Bewegung (stambha-vrtti). stabha und kumvhaka haben als gemeinsame Bedeutung »Topf« oder »Krug«, wobei letzteres das »Bilden des Kruges« (kumbha-ka) meint, beide zudem »sakrales Gefäß« oder »Opferkrug« heißen. Der Topf oder Krug ist der Rumpf oder Körper, in den die Luft oder Lebensenergie eingefüllt und wieder herausgeleert wird.“ Khumbhaka sei zum Synonym für Pranayama schlechthin geworden, wobei das Anhalten die Atembewegungen klar dominiere.

„Solange sich der Atem bewegt, so lange ist auch alles Wandelbare im Menschen (Chitta) in Bewegung. Wird der Atem unbeweglich, so wird auch der Geist unbeweglich und der Gest des Yogi findet zur Harmonie. Daher soll man den Atem anhalten.“

Hatha-Yoga-Pradipika, Kapitel 2, Vers 2

Punkt 7

7. Übungsziele beim Pranayama

Hier äußert sich Patanjali nicht ganz so eindeutig: der Atem soll verfeinert und verlängert werden. Was heißt das konkret?

7.1. Suksma: Verfeinern

Die gängige Deutung ist: Der Yogi sollte den Atem immer sanfter fließen lassen, bis dieser kaum mehr wahrgenommen (oder mit dem Finger vor der Nase gespürt) werden kann.

Dies Verfeinern kann auch im Sinne von „immer subtiler“ verstanden werden. Dies wird dann so gedeutet, dass der Yogi immer feinfühliger wird und schließlich den subtilen Fluss des Prana im Körper erspüren und irgendwann auch verändern kann.

Andere Kommentatoren übersetzen suksma einfach als „verkürzen“.

7.2. Verlängern

Die gängige Deutung ist: Der jeweilige Atemvorgang wird immer weiter ausgedehnt (Einatmung, Atempause und Ausatmung).

Manche beziehen das „Verlängern“ auf die Dauer der Pranayamasitzung.

7.3. Prana lenken

Patanjali schreibt es nicht konkret, aber viele Kommentatoren meinen, dass Patanjali (auch) das Lenken des Pranas als Ziel des Pranayamas ansieht. Skuban (S. 154): „Wenn wir Pranayama üben, wird die Atmung zum Fixpunkt unserer Konzentration, wir lenken sie bewusst: Dies betrifft die Geschwindigkeit der Atemzüge (Zeit), den Körperbereich, in dem wir hineinatmen ... (Ort), und die Zahl der so praktizierten Atemzüge.“ Alle drei Atemvorgänge werden „sukzessive verlängert“.

Punkt 8

8. Sichtweise von Sutra II-50 im Pātañjalayogaśāstra (Kommentar Yogabhāṣya)

Vyasa, ältester bekannter Kommentator des Yogasutras (zitiert aus Yoga Roots S. 140ff) schreibt in seinem Kommentar zu dieser Sutra: „[Atemkontrolle], bei der der Abwesenheit des Flusses eine Ausatmung vorausgeht, ist äußerlich. [Die], bei der der Abwesenheit des Flusses die Einatmung vorausgeht, ist innerlich. Bei der dritten [Atemkontrolle], nämlich ›angehalten‹, entsteht die Abwesenheit von beidem [Einatmung und Ausatmung] als Ergebnis einer plötzlichen Anstrengung.

So wie sich Wasser vollständig zusammenzieht, wenn es auf einen erhitzten Stein gelegt wird, so gibt es [bei der ›angehaltenen‹ Atemkontrolle] sofort eine Abwesenheit des Flusses von beidem [Einatmung und Ausatmung].

Diese drei werden nach dem Ort reguliert; der Ort ist der Wirkungsbereich [des Atems]. Dass sie zeitlich reguliert sind, bedeutet, dass sie durch eine Beschränkung der Anzahl der Momente [die sie dauern] begrenzt sind. [Die drei Arten der Atemkontrolle sind auch] nach der Anzahl geregelt: der erste Ausbruch (udghāta) resultiert aus einer bestimmten Anzahl von Ein- und Ausatmungen, der zweite Ausbruch des zurückgehaltenen [Atems] resultiert ebenfalls aus dieser Anzahl, [und] der dritte ist derselbe.

Weil die Atemkontrolle auf diese Weise als mild, mittelmäßig und intensiv bezeichnet wird, ist sie ›durch die Anzahl reguliert‹. Wenn sie so praktiziert wird, ist sie lang und subtil.“

Punkt 9

9. Gegenmeinung: Pranayama nicht aktiv

Kommentatoren wie Rainbowbody lehnen die aktive Atemkontrolle ab und betonen hingegen, dass Prana eine intelligente Lebenskraft sei (deren Manipulation nicht sinnvoll sei). In dem Maße, wie das subtile Gewahrsein beim Pranayama erweitert wird, wird der Atem immer subtiler und „dünner“, bis er so jenseits des Subtilsten wird. Der Yogi soll sich dafür sagen:

„Jetzt werde ich im Pranayama sitzen und mich auf die subtilen Feinheiten der Atemvorgänge konzentrieren, sie aber nicht manipulieren.“

In der sitzenden Meditation des Raj-Yoga, so Rainbowbody, ist die erste und wesentliche Stufe das Gewahrsein oder die Beobachtung (paridrasta), bei der wir nicht versuchen, den Atem zu verändern, sondern einfach wahrnehmen und uns bewusst werden, was mit den Eigenschaften des Atems geschieht, wie er sich mit den Gedanken (vrtti) verändert, und zu einem gleichmäßigen, subtilen und langen Atem zurückkehren. Man beobachte, wo der Atem konzentriert ist, wie der Atem anhält, „zackig“ wird, mal tief, mal lang fließt (vrttir), schwankt, grob oder subtil, schnell oder langsam, unausgewogen oder ausgeglichen wird und so weiter, bezogen auf geistige, emotionale und körperliche Entsprechungen, die wir wahrnehmen und beobachten (paridrsto).

Manchmal wird der Geist in die Stille kommen und da kann man bemerken, dass auch der Atem sehr lang und subtil geworden ist oder sogar still zu sein scheint. Wenn der Geist abschweift, kann man die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem lenken, indem alle Eigenschaften des Atems und ihre Beziehung zum Abschweifen oder zur Stetigkeit der Energie und des Geistes (der cit-prana oder cit-shakti) wahrgenommen werden. Auf diese Weise werden so Rainbowbody, der Atem, das Prana und der Geist (citta) verfeinert und subtiler, bis sie schließlich in einen unerschütterlichen, unaufgeregten Stillstand (stamba) übergehen.

Punkt 10

10. Tantrische, chinesische und buddhistische Aspekte

Wim van den Dungen schreibt:

„Da der Atem (und die Lebensenergie, „prânâ“ oder „ch’i“) der geistigen Absicht folgt, kann er auf einen Ort im Körper gelenkt werden.“

Nach chinesischer Sichtweise sei die Regulierung des Atems die „ultimative Strategie, um die Winde zu lenken“. Prânâyâma“ wird als „königliche Straße, um den Geist zu transformieren“ bezeichnet. Denn nach ostasiatischer Vorstellung fließt „ch’i“ dorthin, wohin der Geist es lenkt. Die Regulierung des Chi´s wird als Voraussetzung für tantrische Transformation gesehen, übrigens auch in Indien. Je besser die innere Struktur und die jeweiligen Funktionen des subtilen Energiefeldes verstanden werden, desto effizienter und gründlicher wird die „Arbeit mit Energie“ („Ch’i Kung“) sein.

Punkt 11

11. Lohn der Pranayama-Arbeit

Die Belohnungen der Atem- und Energiearbeit sind verlockend. Wim van den Dungen „... indem wir alle energetischen Knoten entfernen, wird die Wurzel unserer Verdunkelungen durchtrennt und das Leiden hört unwiderruflich auf.“ Wenn diese „tantrische Transformation“ erfolgreich ist, dann erscheinen die Siddhis (beträchtliche körperliche & geistige Kräfte) und sogar die Lebensspanne soll verlängerbar sein.

Und es geht noch weiter. Wim van den Dungen: „Schließlich führt diese Veränderung zur Buddhaschaft und damit zum Ende des durch den Tod (und die Wiedergeburt) verursachten Leidens. An diesem Punkt kann anderen am besten geholfen werden, auch ihr Leiden zu beenden. All dies geschieht durch prânâyâma.“

Rainbowbody: „Pranayama ist ein effektives und kraftvolles Werkzeug, um vergangenes Karma, Kleshas, Vasana und Vrtti aufzulösen sowie unser transpersonales, nicht-duales Erbe zu aktivieren. ... Durch subtiles Gewahrsein lernen wir, wie der Atem schließlich das innere Licht entzündet, das den Schleier der Unwissenheit zerstört (siehe Sutra 52).“

Iyengar: „Wer dieses Absorbieren und Reabsorbieren der Energie voll ausschöpft, wird hundert Jahre in vollkommener Gesundheit ... und Ausgewogenheit des Geistes leben können.“

Ralph Skuban (S. 155): „Pranayama ist zweifellos eine der wichtigsten Praktiken auf dem Yoga-Weg.“

Eliade S. 241: „.... dient diese Übung [des Pranayama] vor allem zur Reinigung der nadi.“

Siddhis: „Der Pranayama vernichtet die Sünden und verschafft die 84 siddhi.“ (Shiva-Samhita III, 51f, Gheranda Samhita V, 1f).

11.1. Energie, Reinheit und Gedankenruhe durch Pranayama

Rainbowbody, die Pranayama vornehmlich als Beobachtung der Atemvorgänge und der Pranaenergie im Körper ansehen, sagen, dass aus dem so verstandenen Pranayama die Energetisierung und Reinigung von Körper und Geist folge. Und zwar in dem Maße, in dem „der subtile Prozess zwischen Atem und Energie (Prana) enthüllt und verfeinert wird, wird auch das Citta (Gedankengut) verfeinert“. Dadurch würden die Citta-Vrtti abgeschwächt, was ja das Ziel der Yoga-Arbeit ist, siehe Sutra I-2:

[title]

wellenringe

Yogash citta–vritti–nirodhah 
योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः

Wenn ich festlegen müsste, welche Sutra die Bedeutsamste ist, dann würde ich diese wählen. Hier wird der Yogaweg in einem Satz zusammengefasst. Alle weiteren Sutras erläutern den Weg.

Auslegung und Deutung dieser Sutra erfolgt unterschiedlich. Lies hier, welche Prioritäten du gemäß der Sutras-Deuter bei deiner täglichen Praxis setzen solltest.

Hier weiterlesen

Punkt 12

12. Gefahren durch Pranayama

Aber Vorsicht! Viele Lehrer warnen vor den Gefahren von Pranayama und der Lenkung der subtilen Energien. Swami Satchidananada: „Es [Pranayama] sollte vorsichtig [und nur] unter persönlicher Anleitung praktiziert werden.“ Seine Metapher ist mehr als deutlich: „Wir sollten nicht mit einer Kobra spielen, wenn wir keinen versierten Kobra-Trainer an unserer Seite haben.“

Die Probleme, die mit der direkten Einwirkung auf dieses Lebensfeld einhergehen können, erfordern ein tiefes Verständnis. Wim van den Dungen: „Dies erklärt, warum alle so genannte „Energiearbeit“ oder „Ch’i Kung“ eine langsame und allmähliche Praxis erfordert und gewaltsame Methoden vermeidet.“

Rainbowbody schreibt: „Die Pranayama-Praxis sollte zunächst als eine Bewusstseinsübung erfolgen. Erst wenn dieses Gewahrsein und diese Sensibilität hergestellt sind, können Experimente unternommen und in diesem Licht betrachtet werden. Diese müssen langsam, natürlich und nicht erzwungen sein. Es sollte weder überstürzt noch mechanisch sein, denn es ist sehr kraftvoll, mit den kausalen Energien im Inneren zu arbeiten. Ohne Sensibilität und Bewusstheit wird Leiden die Folge sein. Die Betonung muss auf dem Öffnen der Nadis und dem Ausgleich der Energie liegen. Daher ist es am besten, Pranayama zu vermeiden, es sei denn, man ist bereits sensibel geworden.“ Rainbowbody fasst zusammen: #

„Wenn Pranayama als Bewusstseinsübung ohne Manipulation des Atems praktiziert wird, entsteht kein Schaden.“

 Punkt 13

13. Siehe auch folgende Sutra

Yoga Sutra IV-34: Die komplette Freiheit (Kaivalya) als Ziel des wahren Selbst (Purusha) überwindet die Gunas. Die Seele lebt in ihrer wahren Natur und besitzt die Kraft des absoluten Wissens

Zur Sutra

Punkt 14

14. Übungsvorschläge zu Sutra II-50

14.1. Übung 1

  • Teil 1: Setze dich zur Meditation hin und halte deine Achtsamkeit für 15 Minuten auf den Atem. Verändere den Atem möglichst nicht bewusst, lass alles geschehen. Wie ist dein Atem nach dieser Viertelstunde? Länger? Feiner?
  • Teil 2: Bemühe dich am nächsten Tag zu Beginn deiner Meditation eine Viertelstunde lang in sanfter Form darum, sowohl dein Einatmen als auch dein Ausatmen zu verlängern. Das Ausatmen sollte dabei stets deutlich länger ausfallen als das Einatmen. Wenn es problemlos möglich ist, baue eine Pause nach der Ein- und Ausatmung ein. Verlängere alle Atemphasen und lasse den Atem immer sanfter fließen, bis du ihn kaum mehr spürst, wenn dir das leicht möglich ist.
  • Teil 3: Vergleiche nun deinen Atem jeweils am Ende dieser Viertelstunde. Lasse ihn von selbst fließen. Wann ist er "länger" und "feiner"? Nach der reinen Atembeobachtung oder wenn du den Atem bewusst verlängerst und verlangsamst? Was fühlt sich für dich besser an?

14.2. Übung 2

2. Übung, wenn du magst: Widme dich in dieser Woche verstärkt deinem Atem während der Asana-Praxis. Beobachte den Atem, während du die Stellung unbeweglich hältst. Wie verändert sich der Atem mit zunehmender Dauer des Haltens? Vermagst du deinen Atem auch in anstrengenden Stellungen zu beruhigen? Was geschieht dann?

Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

 

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 Punkt 15

15. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text

Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?

Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:

 

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Punkt 16

16. Videos zu Sutra II-50

Sukadev zur Sutra II-49 bis Sutra II-53

Länge: 21 Minuten

Youtube-Video

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Pranayama: Breath, Mind, and Orgasm, Kommentar zu Sutra II-49 bis II-51

Länge: 15 Minuten

Youtube-Video

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Video von Desikachar zur Sutra

Desikachar Video zu Sutra II-50

Länge: 50 Minuten

Youtube-Video

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Video von Asha Nayaswami zur Sutra

Asha Nayaswami zu Sutra II-46 bis II-55

Länge: 70 Minuten

Youtube-Video

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 Punkt 17

17. Pranayama auf Yoga-Welten.de

Punkt 18

18. Beliebt & gut bewertet: Bücher zum Yogasutra


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18.1. Alte Schriften auf Yoga-Welten.de

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

https://www.yoga-welten.de

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