Ego auflösen: „Kein Ich, kein Problem – Ein Praxisbuch“ von Dr. Chris Niebauer | Buchrezension und Zusammenfassung

In einer Welt, die von ständigem Grübeln, Sorgen und Selbstzweifeln geprägt ist, will Dr. Chris Niebauers Buch „Kein Ich, kein Problem – Ein Praxisbuch“ einen Ausweg bieten. Es soll ein Wegweiser zur mentalen Freiheit sein.

Niebauer verknüpft wie im Basiswerk „Kein Ich, kein Problem“ die Neuropsychologie und den Buddhismus miteinander. Hier im Praxisbuch liegt der Schwerpunkt auf Werkzeugen und Übungen. Das große Ziel dahinter besteht darin, sich von der Identifikation vom eigenen Denken (und damit vom Ego) zu lösen, um Klarheit, Zufriedenheit und innerem Frieden zu erreichen.

Diese Rezension zum Buch enthält auch eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte des Buches und schildert Übungen und einige lehrreiche Beispiele aus der Psychologie und Neurologie.

Praxisbuch: Kein Ich, kein Problem

1. Von der grundlegenden Geisteshaltung

Niebauer fragt zu Beginn, was das „Merkwürdigste“ daran sei, dass wir bewusste Wesen sind. Er antwortet für sich:

„Für mich ist das, dass es den meisten Menschen überhaupt nicht merkwürdig vorkommt.“

Woran mag dieser Mangel an Verwunderung herrühren? Eventuell daran, dass „Bewusstsein von denkendem Verstand umwölkt“ sei. Vom Geplapper in unserem Geist.

1.1. Das Geplapper in die Schranken verweisen

Und diesem das reine Bewusstsein verhinderndem Geplapper sagt Niebauer in seinem Buch den Kampf an.

Dieses Geplapper, dem wir so viel Bedeutung beimessen, hat noch viele, weitreichende und oft negative Folgen, wie Niebauer an zahlreichen Beispielen verdeutlicht. Obwohl unser Verstand vom Grundprinzip her ein weises evolutionäres Werkzeug ist, dass uns in vielen Lebenssituationen hilfreich zu Seite stehen kann. Uns bei der Lösungsfindung hilft, uns Probleme überwinden lässt.

Die interpretierende Stimme in unsrem Kopf tauge nur nicht als Lenker und Meister unseres Lebens, gehört entsprechend in (enge) Schranken verwiesen, so Niebauer.

1.2. Das Ich-Problem

Das gravierendste Übel, was der Verstand verantwortet, ist laut Niebauer (und auch vieler spiritueller Lehren), ist die Erschaffung der meisten, wenn nicht gar aller Probleme, die wir als Mensch erleben, sowie das eines Ich-Gefühls, des sogenannten Egos. Was wiederum zu ganz eigenen Problemen führt.

Und dieses falsche Ich-Gefühl will Niebauer mit den Übungen des Buches (in kleinen Schritten) offenlegen, bloßstellen und widerlegen.

Warum das Ganze. Er zitiert den Sufi-Mystiker Rum:

„Verlierst du jedes Ich-Erleben, schwinden die Fesseln von tausend Ketten.“

2. Medizinische Fallbeispiele

Wie im ersten Teil von „Kein Ich – kein Problem“ schildert Niebauer mehrere Beispiele aus der medizinischen Praxis, welche die Konstruktion eines vom Verstand erzeugten Ich-Gefühles offenbaren.

Da sind zum einen die Split-Brain-Patienten, Bei ihnen wurde die Verbindung von der linken zur rechten Gehirnhälfte gekappt. Mit der Folge, dass anschaulich erlebt werden konnte, wie die linke Gehirnhälfte die Geschichte eines Ich konstruiert, auch wenn das mit der Realität nichts oder nur wenig zu tun hat. Niebauer schildert beispielhaft eine Studie, bei der Aufforderungen per Bild allein der rechten Gehirnhälfte an die Split-Brain-Versuchsteilnehmer gemacht wurden, z. B. „Gehen“. Nachdem diese ausgeführt worden waren, wurde die linke Gehirnhälfte (für Sprache zuständig) mit Worten gefragt, warum diese Tat eben (z. B. aufstehen und gehen) von dem Versuchsteilnehmer gemacht worden war? Sofort erfand die linke Gehirnhälfte des Versuchsteilnehmers dann eine völlig falsche Geschichte (zum Beispiel: „... ich wollte eine Cola holen“), die nichts mit dem wahren Grund, nämlich dem Schild „Gehen“, zu tun hatte.

Niebauer bringt zahlreiche weitere Beispiele für solche irrigen Realitäts-Konstruktionen und -Interpretationen des Verstandes.

Wir halten fest: Man könne gemäß Niebauer sagen, „dass das Gehirn in der Lage und geneigt ist, sich eine Geschichte über das Wahrgenommene auszudenken, die auf der Grundlage der verfügbaren Informationen Sinn ergibt.“

3. Man kann es nicht wissen

Was sagt dir dein Verstand, wenn du die folgende Reihe siehst?

2, 4, 6, _

Gehe erst weiter runter, wenn du dir Gedanken dazu gemacht hast.

Hier

geht

es

weiter

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Erschien eine „8“ bei dir im Kopf? Das ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie unser Verstand ein Ereignis wahrnimmt (die Zahlenfolge) und auf die Zukunft schließt.

Warum ist das nicht richtig? Nun ja, „8“ kann richtig sein, aber auch „2,4,6,4,2“ wäre möglich und logisch. Oder 2,4,6,10,16, _ (was wäre hier wohl die nächste Zahl?) ist eine mögliche korrekte Fortsetzung.

Warum ist das ein Problem? Dein Verstand interpretiert plappernd die ganze Zeit das Geschehen um dich herum, erstellt Zukunftsszenarien und du nimmst diese Stimme in dir für bare Münze. Entwickelst daraufhin Gefühle und Emotionen und fühlst dich – auf einmal – gut oder schlecht, obwohl noch gar nichts passiert ist, dass dich normalerweise so fühlen ließe. Allein die von deinem Verstand ausgedachten Szenarien verändern dein Wohlbefinden.

Zudem verhindern die Interpretationen und die daraus folgenden inneren Dialoge ein weiteres klares Wahrnehmen der Gegenwart.

Was wäre auf die Frage der Fortsetzung der obigen Reihe die logisch korrekte Antwort gewesen?

Ganz einfach:

„Mein Verstand weiss es nicht!“.

Aber, so Niebauer: „... dieser Gedanke kommt selten auf. Und wenn er es täte, so käme uns das seltsam vor.“

3.1. Ponzo-Täuschung

Nehmen wir folgendes, bekanntes optisches Beispiel für die fehlerhafte Urteile unseres Verstandes:

Ponzo Taeuschung

Die Ponzo-Täuschung oder Ponzo-Illusion ist eine geometrisch-optische Täuschung, die von Mario Ponzo 1928 entdeckt wurde. In der Abbildung erscheint der obere Querbalken länger als der untere, obwohl beide gleich lang sind.

3.2. Der „Weiß-nicht“-Geist

Niebauer bringt mehrere Beispiele für Situationen, in denen wir eigentlich sagen müssten: „Ich weiss es nicht“, unser Verstand aber stattdessen eine plausible Erklärung konstruiert (die auch stimmen kann, aber halt nicht muss).

In diesem Zusammenhang wird dann auf Zen-Übungen verwiesen, die einen „Weiß-nicht“-Geist kultivieren.

Ein Beispiel wäre der berühmte Koan „Wie klingt EINE klatschende Hand?“

Oder sich mit Fragen zu beschäftigen wie „Was geschieht nach unserem Tod?“.

Oder sich immer die Frage stellen: „Ist vielleicht das Gegenteil von dem, was ich vermute oder zu erkennen meine, wahr?“

Die Bearbeitung solcher Fragen (genauer: die Unfähigkeit zur Beantwortung) sollen den Einfluss des Verstandes bei unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit auf das rechte Maß zurechtrücken. So dass wir klarer erfassen, was wirklich ist.

Niebauer gibt im Buch zahlreiche weitere Beispiele dafür, wie der Verstand munter die Welt um uns herum erklärt und deutet und Prognosen für die Zukunft erstellt, obwohl wir eigentlich immer sagen müssten: „Ich weiss es nicht.“

4. Übungen zur Auflösung des Ego

Beispielhaft seien hier Übungen aus Buch aufgelistet und kurz erklärt:

4.1. Atemübungen

Niebauer sagt, viele Forschungsarbeiten hätten gezeigt, dass der Atem die Kraft habe, den denken Verstand in die Ruhe zu führen und damit das Tor zu klarem Bewusstsein zu öffnen.

Diese geschähe primär durch bewusste Beobachtung des Atmens. Im zweiten Schritt ginge es darum – ganz Yogalehre – den Atem zu verlängern. Vor allem sanfter und länger auszuatmen.

4.2. Sich in den gegenwärtigen Augenblick verlieben

... denn nur hier erleben wir wirklich. Ansonsten leben wir Gedanken. Eine Möglichkeit dazu besteht in der Wiederholung des folgenden „Mantras“:

Es ist jetzt. Es ist immer noch jetzt. Es ist immer noch jetzt.

Solange, bis der Verstand sich von den Worten löst und wir tatsächlich deren Sinn spüren.

4.3. Probleme relativieren

Laut vieler spiritueller Richtungen ist unser Verstand die Wurzel für fast alle unsere Probleme. Kein Verstand, kein Problem. Niebauer gibt immer wieder Anregungen, der wahren Natur unserer Probleme auf die Spur zu kommen und sie damit kleiner zu machen oder ganz verschwinden zu lassen. Dazu gehören:

  • Die Relativierung unserer Probleme bei Betrachtung des ganzen Lebens.
  • Sich bewusst machen, dass unser Verstand dieses Problem als Problem definiert. Gut nachzuvollziehen bei Problemen wie Scham oder Eifersucht.
  • Sich unser Verstand gerne auf ein Problem konzentriert und dabei alles vergisst, was gerade gut läuft.
  • Sich bewusst zu machen, dass man alles, was man wirklich zum Leben braucht, heutzutage ganz leicht bekommt. Probleme bereitet alles „Mehr-haben-wollen“. Niebauer regt an, dieses (einfach) zu beenden.
  • Sich vergangenes Leid bzw. überstandene Probleme in Erinnerung zu rufen und zu schauen, was sich dadurch im Leben verändert hat. Zu schauen, ob sich nicht auch etwas Positives daraus ergeben hat.
  • Vergebung zu üben.
  • Dankbarkeit zu pflegen. Dankbarkeit zu kultivieren führt dazu, dass unser Gehirn „neu verdrahtet wird“ und sich so viele Problemgedanken auflösen. Besonders gut soll dabei die Praxis der Dankbarkeitsgeschichte wirken, wie sie von Andrew Huberman vorgeschlagen wird:
Video: Wie man eine Dankbarkeis-Praxis entwickelt

Länge: 85 Minuten

Youtube-Video

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„Eine der wichtigsten Einsichten des Buddha war die Erkenntnis, dass sich die Realität ständig verändert und dass unsere leiden vom Festhalten an unserer Vorstellung herrührt, dass sie irgendwie stabil oder auch beständig sei, wie etwa die Vorstellung von einem „Ich‹“ oder einem „Selbst“.“

Dr. Chris Niebauer

4.4. Erinnerungen weniger berücksichtigen

Erinnerung formt das Ich: Wer es schafft, sich ganz als momentaner Zustand zu betrachten, schafft es, dass sich alles, was sich als „Persönlichkeit“ sieht, auflöst. Niebauer verweist zudem darauf, dass Erinnerungen stets trügen können und der Umgang mit anderen Menschen erleichtert wird, wenn wir uns klarmachen, dass wir uns nie so ganz sicher sein können, was da wirklich früher vorgefallen ist. Und wir leiden weniger, wenn wir unseren Erinnerungen nicht für bare Münze nehmen.

Das waren einige der Übungen zur Auflösungen des Egos aus dem Buch. Kommen wir nun zu einem interessanten Menschenschlag:

5. Das Volk der Pirahã

Niebauer schildert am Beispiel des Volkes der Pirahã, dass ein Leben mit weniger Denken und Interpretation möglich und durchaus vorteilhaft sein kann.

5.1. Lebensweise und Kultur

Die Pirahã leben als eines der letzten Jäger- und Sammler-Völker in einfachen Hütten am Amazonas, weitgehend ohne zivilisatorische Errungenschaften. Sie bewohnen einen Abschnitt des Amazonasgebiets, der durch die Flüsse Rio Marmelos und Rio Maici charakterisiert ist. Die Region zeichnet sich durch seine ausgeprägte Trocken- und Regenperiode aus.

Ihre Bevölkerungszahl beläuft sich auf rund 360 Personen. Sie leben in kleinen Gruppen, die sich mit dem Sammeln von Paranüssen beschäftigen. Trotz Kontakt mit der Außenwelt haben die Pirahã ihre traditionelle Kultur und ihren eigenen Lebensstil bewahrt​​​​. 

Ihre Namensgebung ist einzigartig und ist Teil ihrer Kosmologie. Ein Kind erhält bereits im Mutterleib einen Namen, der als wesentlich für seine Existenz angesehen wird​​​​.

Bezüglich einer gesellschaftlichen Rangordnung gibt es keine spezifischen Informationen, die darauf hindeuten, dass die Pirahã eine komplexe soziale Hierarchie haben. Ihre Lebensweise als Jäger und Sammler und die Fokussierung auf die unmittelbare Erfahrung deuten darauf hin, dass sie möglicherweise eine eher egalitäre Gesellschaftsstruktur haben. Ihre einfache Lebensweise, weitgehend ohne moderne zivilisatorische Einflüsse, unterstützt diese Annahme​​​​.

Niebaurer regt an: „Stelle dir eine Gesellschaft ohne Rangordnung, ohne Kategorien vor“. Was würde sich dadurch ändern?

5.2. Einblicke in das Leben der Pirahã

Die Pirahã-Gemeinschaft und ihre Sprache

Die Pirahã sind ein indigenes Volk, das im Amazonasgebiet Brasiliens lebt. Ihre Sprache, ebenfalls Pirahã genannt, ist einzigartig und gilt als die einzige heute noch gesprochene Sprache der Mura-Sprachfamilie. Die Pirahã-Sprache ist besonders, da sie sich in verschiedenen Aspekten von anderen Sprachen unterscheidet. Einige ihrer bemerkenswerten Merkmale sind:

  • Einfachheit im Zahlensystem: Frühere Berichte erwähnten die Wörter „hói“ und „hoí“ für „eins“ und „zwei“, die sich nur im Ton unterscheiden. Neuere Forschungen deuten jedoch darauf hin, dass diese Wörter eher für „kleine Anzahl“ und „größere Anzahl“ stehen und keine echten Zahlwörter sind.
  • Fehlen von Farbbezeichnungen im eigentlichen Sinn. Stattdessen verwenden die Pirahã beschreibende Redewendungen, um Farben zu bezeichnen, wie beispielsweise „wie Blut“ oder „wie Kohle“.
  • Ein sehr einfaches Pronominalsystem und das einfachste bekannte System zum Ausdruck von Verwandtschaftsverhältnissen. Ein einziges Wort, „baíxi“, bezeichnet sowohl Mutter als auch Vater​​​​​​​​.
  • Fehlende Rekursion in der Sprache, was aber eher für Linguisten interessant ist, weil es als relativ einzigartig gilt.

5.3. Weltanschauung der Pirahã

Die Pirahã haben eine einzigartige Sicht auf die Welt, die eng mit ihrer Sprache und Kultur verbunden ist:

  • Sie konzentrieren sich auf das Erfahren des Augenblicks und lehnen alles Abstrakte ab. Sie sprechen nur über Dinge, die sie selbst erlebt haben. Fragen über die ferne Vergangenheit oder die Zukunft, sowie Fantasie-Ereignisse sind ihnen fremd.
  • Dies spiegelt sich in ihrer Sprache wider, die keine Wörter für abstrakte Konzepte wie Zahlen oder Farben und keine Nebensätze besitzt.
  • Ihr kultureller Fokus liegt auf dem Konkreten und Erlebbaren. Sie benennen Farben durch den Vergleich mit bekannten Objekten und vermeiden es, Verbindungen zwischen getrennten Ereignissen herzustellen.

5.4. Leben im Moment

Wir erkennen schon: die Pirahã geben wenig auf Konstrukte des Verstandes. Kann man sagen, dass die Pirahã mehr in der Gegenwart, mehr im Moment leben? Sind sie dadurch glücklicher?

Es lässt sich problemlos argumentieren, dass die Pirahã mehr im Moment leben. Ihre Sprache und Kultur konzentrieren sich stark auf das unmittelbar Erfahrbare und Gegenwärtige. Sie sprechen beispielsweise nicht über Ereignisse, die sie nicht selbst erlebt haben oder die in der ferneren Vergangenheit oder Zukunft liegen​​. Diese Lebensweise führen laut Niebauer dann auch zu einem erhöhten Gefühl des Glücks, da sie sich auf das Hier und Jetzt fokussieren, ohne sich von abstrakten Konzepten oder Sorgen um die Zukunft beeinflussen zu lassen.

Niebauer geht soweit, die Pirahã als „Die glücklichsten rechtshirnigen Menschen der Welt“ zu bezeichnen. Sie scheinen für ihn immun gegenüber Wünschen zu den Luxusgütern des westlichen Lebensstiles. Und da gilt: „Weniger Wünsche, weniger Leid“ befolgen die Pirahã ohne Kenntnis von irgendeiner Sutra die Lehre des Buddha.

„Können Sie einfach da sein, wo Sie sind, wenn Sie es sind, ohne eine Geschichte? Das ist die Kunst der Achtsamkeit.“

Dr. Chris Niebauer, Praxisbuch, S. 130

5.5. Barfuß gehen

Niebauer ist ein Fan des Barfußlaufens. Er verweist auf eine Studie, die eine erhöhte Aktivität der linken Gehirnhälfte durch Barfußlaufen feststellte. Die rechte Hirnhälfte, der denkende Verstand, wurde nicht aktiviert. Einige indigene amerikanische Stämme sind sogar der Meinung, man werde krank, wenn man Schuhe trage, weil man den Kontakt zur Erde verliere. Niebauer geht so viel wie möglich barfuß.

6. Die Illusion der Wirklichkeit

Niebauer gibt im zweiten Teil zahlreiche Beispiele dafür, dass wir die Wirklichkeit nicht direkt wahrnehmen, sondern immer nur eine Interpretation der Realität durch unser Gehirn. Unsere Sicht der Dinge ist Maya, eine eingebildete Illusion.

Nehmen wir das Beispiel Farben. Niebauer schreibt, es gibt „im Universum keine Farben – nur Unterschiede in der Wellenlänge der Lichtenergie, die unser Gehirn im Laufe seiner Entwicklung als verschiedene Farben interpretiert hat. Ohne das Gehirn besteht der einzige Unterschied zwischen Rot und Grün darin, dass Rot eine größere Wellenlänge hat.“

Der besondere Trick der Maya sei es, dass sie unsere selbstgestrickte Illusion der Wirklichkeit wie die Wirklichkeit aussehen lässt. Nicht wie eine neuronale Verarbeitung dessen, was da in Wirklichkeit ist.

6.1. Probleme durch Illusion

Wo ist das Problem? Eine Blume ist doch trotzdem schön, auch wenn wir uns die Farben nur „einbilden“. Das stimme, bestätigt Niebauer, aber da draußen existieren Unmengen an Problemen, die auf Maya (bzw. dem Denken, was für Niebauer synonym steht für eine neuronale Verarbeitung der Wirklichkeit) beruhen: Zu all dem Leid, das von Dingen wie unbezahlten Rechnungen, Staus oder schwierigen Mitmenschen über den Verstand in uns erzeugt wird, können wir eine ganz andere Beziehung aufbauen, wenn wir diese Konstruktion der Wirklichkeit (Maya) durchschauen.

„Es ist immer ein Insider-Geschäft. Glück, Stress und Seelenfrieden – all das sind innere Prozesse.“

Dr. Chris Niebauer, Seite 141

Angenehmes Licht, so Niebauer, würde nur im Kopf existieren. „Selbst am hellsten und sonnigsten Tag befindet sich das ganze Licht in Ihrem Kopf und nicht in der Realität.“ Etwas später fragt er provokant: „Was, wenn nicht Licht, sondern klares Bewusstsein das Universum erhellt?“

6.2. Wünsche

Genau wie Maya, so werden auch Wünsche im Verstand erzeugt. Niebauer verweist auf zwei Erkenntnisse von Buddha:

  1. Ein Großteil des Lebens ist mentales Leiden.
  2. Leiden wird durch Wünsche verursacht.

Das Problem bestehe auch darin, dass egal wie gut das Leben wird, der denkende Verstand immer wieder neue Wünsche aus dem Hut zaubert, um uns dadurch wieder das Jetzt als unvollkommen erscheinen zu lassen.

7. Empfehlungen von Niebauer

Im Laufe des restlichen Buches gibt Niebauer Ratschläge, wie das Leid durch unseren denkenden Verstand verringert werden kann.

  • Rat Numero 1: Mache alles mit so viel Bewusstheit wie möglich. „Machen Sie es sich zur Praxis, klares Bewusstsein in Ihren gegenwärtigen Zustand zu bringen, so wie er ist.“ Dazu gehört achtsames Essen, Zähne putzen etc.
  • Rat Numero 2: Nichtstun. Probiere das mal 2 Minuten. Einfach nichts tun, auch nicht zu meditieren. Vielen fällt das schwer, darum sollte man es üben.
  • Ein neues Verhältnis zum Denken: Hilfreich wäre es auch, wenn wir ein neues Verhältnis zu unserem Denken erreichen. Es sollte sich immer weniger so anfühlen, als würden wir denken, sondern wir sollten immer mehr den Zustand anstreben, dass wir unser Denken beobachten. Wir müssen (oder können) unseren Verstand nicht ändern, aber wir können und sollten unsere Beziehung zu ihm verändern. Niebauer geht soweit zu behaupten, dass die meisten östlichen Lehren in einem Satz zusammenzufassen wären. Dieser lautet:

„Du bist nicht die Stimme in deinem Kopf.“

7.1. WuWei in der Beziehung zu unserem Verstand

Niebauer regt an, dass wir uns vom Zwang des Tuns befreien. Mehr Nichtstun – mehr Nähe zum eigenen Selbst. Es geht ihm aber vor allem um Glaubenssätze, die uns darin bestärken, dass wir dieses und jenes tun müssen, damit es in unserem Leben nicht zu diesem oder jenem Scheitern komme. Vieles davon, so Niebauer, ist eingebildet. Das Leben funktioniere ganz wunderbar, auch wenn wir uns nicht um dieses oder jenes sorgen würden.

Was ist mit „dieses oder jenes“ genau gemeint? Finde es selbst heraus :-) Probiere selbst aus, welches „muss ich mich drum kümmern“ du aus deinen Gedanken streichen kannst, ohne dass es zu Problemen kommt. „Nur Mut“, würde Niebauer dir zurufen.

In der chinesischen Philosophie wird dieses Prinzip mit „Wu Wei“ – so etwas wie die Weisheit des Nichtstuns – beschrieben. Dazu gehört auch, jedes Ergebnis im Vorhinein zu akzeptieren. Nicht (zu sehr) auf ein Ziel fixiert sein. Optimalerweise ein Scheitern genauso willkommen zu heißen wie einen Erfolg. Dann klappt es im Leben in der Regel besser.

„Wenn Gutes geschieht, gut; wenn Schlechtes geschieht, gut.“

Laotse, Tao Te King

8. Gefühle entscheiden weiser als der Verstand

Wusstest du, dass du immer nur einen einzigen Gedanken zur selben Zeit haben kannst, aber fast nie nur ein Gefühl gleichzeitig in dir vorhanden ist? Niebauer deutet dies dahingehend, dass Gefühle die Komplexität des Daseins besser widerspiegeln als der Verstand. Viele Kulturen würden es darum als weiser ansehen, Gefühle als Basis für gute Entscheidungen stärker zu nutzen als den denkenden Verstand. Aber nur solange, schränkt Niebauer ein, diese Gefühle nicht aus Angst entstehen.

Jedoch liefern die Gefühle bei vielen Menschen kein klares Entscheidungsbild. Was tun? Niebauer rät, Gefühlsentscheidungen im Alltag zunächst bei unwichtigen Entscheidungen zu trainieren. In der Gemüseabteilung: Welches Obst fühlt sich für mich heute besser an? Beim Spaziergang: Gehe ich rechts oder links. Und so weiter.

Wenn man so immer mehr Vertrauen in die Gefühle aufbaut, liefert der Körper einem auch bei schwierigeren Entscheidungen eher ein klares „Ja“ oder „Nein“. Entscheidend wichtig sei es dann aber, dieses klare Ja oder Nein auch umzusetzen. Nur dann würde das Vertrauen und damit die Empfänglichkeit für solche richtungsweisenden Gefühle gestärkt.

9. Schlussempfehlung

Ziel des Buches ist es, das Ich aufzulösen, um sich vom Leid zu befreien. Anders ausgedrückt: Den Verstand zu benutzen, um sich vom Verstand zu befreien. Wie soll das gelingen? Niebauer gibt im Buch zahlreiche Übungen und Ratschläge, einige sind oben aufgeführt. Am Ende rät er, bei allem in kleinen Schritten vorzugehen. Nicht von einem Tag auf den anderen den Verstand überwinden zu wollen.

Stattdessen immer mehr erkennen: Ich bin nicht der Verstand, ich muss das jetzt nicht glauben, was ich denke usw. „Ihre Intuition auszubauen, indem Sie sich in Ihrer körperlichen Erfahrung und in Ihrer Verbindung zur Erde erden, sich mit anderen zu verbinden und in der Welt des Nicht-Ich und Nicht-Verstandes immer heimischer zu werden."

10. Über den Autor

Dr. Chris Niebauer studierte kognitive Neuropsychologie an der University of Toledo in Ohio, USA. In seiner Forschung konzentriert er sich auf die linke Gehirnhälfte. Themen seiner Studien sind u.a. Bewusstseinsforschung, Rechts- und Linkshändigkeit, Glaube und Selbstbewusstsein. Er arbeitet als Privatdozent für Bewusstseinspsychologie an der Slippery Rock University of Pennsylvania und spielt privat gern Gitarre. Im folgenden Video gibt Niebauer ein Interview (auf englisch) zu diesem Buch:

Länge: 65 Minuten

Youtube-Video

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praxisbuch kein ich problem 1000

11. Bibliografische Angaben / das Buch kaufen

  • Herausgeber ‏ : ‎ VAK; 1. Edition (2. Mai 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 208 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3867312648
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3867312646
  • Originaltitel ‏ : ‎ No Self, No Problem Workbook
  • Abmessungen ‏ : ‎ 15.2 x 1.7 x 21.6 cm

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Punkt 8

12. Weitere Buchbesprechungen

Kein Ich, kein Problem – Buchkritik & Zusammenfassung | von Dr. Chris Niebauer

Das Ich bzw. das Ego ist in spirituellen Kreisen als Problemquelle Nummer 1 verschrien. Gleichzeitig fungiert es – zumindest im westlichen Kulturkreis – als Identifikationskern eines Menschen.

Dr. Chris Neubauer hat in seinem Buch „Kein Ich, kein Problem“ den aktuellen Forschungsstand zum Ego zusammengefasst und vergleicht die Erkenntnisse mit den Lehren Buddhas. Dabei haben sich erstaunliche Übereinstimmungen ergeben. Durch die Schilderung aktueller Studien zum Thema ergeben sich neue Wege, das mysteriöse Ding namens Ego zu verstehen und zu entlarven.

Zusammenfassung der Kerninhalte aus dem Buch ► Übungen, um dem Ego auf die Schliche zu kommen ► anschauliche Beispiele aus der modernen Neurologie-Forschung ► Auswege auch dem Ich-Verhaftetsein ► Zitate aus dem Buch

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12.1. Wie kann ich das Dritte Auge aktivieren und öffnen? Übungen, Ernährung, Voraussetzungen

warnke oeffnung auge 400

Buchkritik und Buchbesprechung
"Die Öffnung des 3. Auges" von Ulrich Warnke – Quantenphilosophie unsers Jenseits-Moduls

In vielen alten Yoga-Schriften geht es darum, wie das Dritte Auge zu aktivieren ist. Dieses Dritte Auge wird auch Stirnchakra, „Inneres Auge“ oder Ajna Chakra genannt und wird mit der Zirbeldrüse in Zusammenhang gebracht. Deren Aktivierung soll eine Wahrnehmung ermöglichen, die weit über das normale Sehen hinausgehend den Blick in die geistige Welt eröffnet.

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Im letzten Jahrhundert wurde in der ehemaligen Sowjetunion eine Atemtherapie entwickelt, deren Erkenntnisse in erstaunlicher Weise mit den Lehren der alten Yoga-Schriften übereinstimmen. Das Buch "Yoga – die Geheimnisse liegen in der reduzierten Atmung" geht diesem Zusammenhang nach und entwickelt aus diesen Erkenntnissen Atemempfehlungen für Alltag und Yogapraxis.

Dr. Konstantin Pavlovitsch Buteyko, der russische Entwickler dieser Atemtechnik (hilfreich erwiesenermaßen bei Asthma und – wie Buteyko beteuerte – vielen weiteren Zivilisationskrankheiten), wurde im Laufe seiner Forschungsarbeit aufgrund der darin gewonnenen Erkenntnisse immer mehr zum überzeugten Yogi. Nicht ohne Grund ...

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Der Meditationslehrer und promovierte Neurowissenschaftler Culadasa John Yates gibt uns mit diesem Buch eine detailreiche Anleitung zur Entwicklung unserer Meditation an die Hand. Eine umfassende Anleitung, wie wir Schritt für Schritt unsere Meditationspraxis vertiefen können. Ich kenne kein Meditations-Buch, das so präzise das Training des Geistes beschreibt und anleitet.

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T.K.V. Desikachar war Sohn und Schüler von Krishnamacharya. Er hat mit „Yoga – Tradition und Erfahrung; Die Praxis des Yoga nach dem Yoga Sutra des Patanjali“ einen Yoga-Klassiker verfasst. Ein Kompendium, das alle grundlegenden Konzepte des Yogas in Bezugnahme auf das Yogasutra beleuchtet. Es endet mit einem Bonus, der so nur von Desikachar geschrieben werden konnte.

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12.2. Rezension: Buteyko-Atmung – Buch von Ralph Skuban

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelte der russische Arzt Dr. Konstantin Pavlovitsch Buteyko eine Methode zur Verringerung eines ungesund erhöhten Atemvolumens entwickelt, der er viele gesundheitliche Vorteile bescheinigte. Rund 70 Jahre später hat Ralph Skuban – in der Yogaszene Deutschlands bestens etabliert – ein Buch über das Erlernen der Buteyko-Atmung verfasst.

Zur Freude derer, die an der Buteyko-Methode interessiert sind, kann gesagt werden: Inhalt und Buchqualität werden einem hohen Anspruch gerecht.

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

https://www.yoga-welten.de

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