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Mrdu–madhyâ-adhimâtratvât tato’pi visheshah
मृदुमध्याधिमात्रत्वात्ततोऽपि विशेषः

 

Mein Patanjali hier wirklich "Wunsch"? Sollen wir nicht allem entsagen, jeden Wunsch im Keime ersticken? Es kann interessant sein, sich darüber klar zu werden, was man sich eigentlich wünscht und wie viel von diesem Wünschen dem Weg des Yoga zuzuordnen ist.

Ist dein Wunsch nach Befreiung nicht groß genug? Hier findest du am Ende des Artikels Tipps, die Sehnsucht in dir zu schüren.

Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrit

  • Mridu = mild, sanft; gering, weich, schwach;
  • Madhya = mittelmäßig; mittel;
  • Adhimatra, adhimâtratvât = intensiv, mächtig; mehr als gewöhnlich;
  • Tatah = somit, folglich, von ihm, nach dem;
  • Api = auch, sogar; überdies;
  • Visesa, visheshah = Abstufung, Unterscheidung; wesentlicher Unterschied; Unterscheidungsmerkmal; Besonderheiten;

 

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Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Auch hier unterscheiden sich die Kommentatoren wie in der vorigen Sutra I-21 vor allem darin, ob Wille, Wunsch oder Übungspraxis gemeint ist. Logisch, denn das Sanskrit-Wort "Tatah" bezieht diese Sutra auf das vorher Gesagte. Man lese darum, wenn noch nicht geschehen, die Anmerkungen zu Sutra I-21.

  • Sukadev übersetzt I-22 aus seinem Verständnis heraus das Subjekt mit "Wunsch", Iyengar hingegen mit "Übung": "Zu unterscheiden ist zwischen ... in ihrer Übung schwach ... oder mittelmäßig oder äußerst eifrig sind." Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Denn schließlich kann ein Wunsch sehr intensiv sein, aber die Energie für die Praxis fehlen.
  • Govindam steht beispielhaft für viele Übersetzungen: "Der wesentliche Unterschied ... liegt darin ... ob die Übungspraxis des Yogin mit geringem, mäßigem oder starkem Übungseinsatz ausgeführt wird."
  • R.Sriram schlägt vor: "Die Intensität kann mild, mäßig oder stark sein." Er ergänzt, dass diese Intensität nur in Vergleich mit anderen bewertet werden kann. Auch Deshpande übersetzt mit "Intensität".
  • Coster schlägt in ihrer Übersetzung von I-22 harsche Töne an: "Einige sogenannte Schüler sind nur als Stümper anzusehen, ..., nur wenige sind ganz auf das Ziel gerichtet."
  • I. K. Taimni kapriziert sich auf die eingesetzten Mittel: "...milde, mittlere und intensive Natur der eingesetzten Mittel."
  • Vyasa Houston bezieht die Abstufungen - in logischer Konsequenz aus seiner Übersetzung von Sutra I-21 - auf die Frequenz des Übens.
  • Wim van den Dungen betont, dass mit intensiver Praxis keine übertriebene Form von Askese oder krankhafte Abtötung gemeint sei, sondern nur "große Begeisterung" für den Weg. Er sagt klar: "Diejenigen, denen die Begeisterung für den spirituellen Pfad fehlt, sollten ihn nicht gehen." Umgekehrt sagt er aber auch, dass diese Sutra aussagt, dass auch eine bescheidene Praxis Früchte tragen wird.
  • 12koerbe.de geht auf "Kraft": "...von sanfter, mittlerer, übermäßiger Kraft: daher rühren ... Unterschiede". In dieser Übersetzung hat die dritte Intensitätsstufe eine negative Komponente: "übermäßig". Diese Wertung habe ich allerdings nirgendwo sonst gefunden.

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Gering, mäßig, stark

Deshpande auf Seite 47: "Die Sutras I-21 und I-22 betonen die Notwendigkeit einer starken Intensität und eines verfeinerten und empfindsamen Gefühls als Voraussetzung für Samadhi."

Was ist eine mäßige Praxis, woran erkenne ich eine starke? Govindan klassifiziert folgendermaßen:

Grade der Intensität

Gering: Ich übe sporadisch, bin voller Zweifel und gebe mich vielen Zerstreuungen hin. Meine Praxis ist dadurch voller Höhen und Tiefen, in einem Wort: unausgeglichen.

Mäßig: Hier praktiziere ich zu manchen Zeiten voller Hingabe, Zuversicht und Intensität. An anderen Tagen kann ich mich kaum aufraffen, ich vergesse meine Motivation, gebe mich negativen Gedanken und Stimmungen hin.

Stark: Eine starke Übungspraxis (adhimatra-sadhana) zeichnet sich durch konstante Entschlossenheit, Gleichmut bei Erfolg und Misserfolg und gleichbleibendes Forschen nach meinem Selbst aus. In den Beziehungen zu meinen Mitmenschen entwickele ich immer mehr Liebe, Vertrauen, Geduld und Mitgefühl (nach Govindan erreichen wir dies dadurch, dass wir ständig das Göttliche in allem sehen).

Randnotiz: Iyengar listet in seiner Übersetzung dieser Sutra eine Tabelle mit vier Arten von "Sadhakaschaft" auf. Dort heißt die letzte Stufe Adhi-matratamata oder Tivra-Samvegin - die höchste Form der Nichtanhaftung als höchste Intensitätsstufe des Strebens.

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Mehr als die Hälfte sollte es sein

Sukadev schreibt, dass diese Sutra dazu auffordert, allen Wünschen außer dem nach Befreiung zu entsagen. Der Wunsch nach Befreiung hingegen solle vom Yogi noch intensiviert werden. Er nennt sogar zahlen: Wenn der Wunsch nach Befreiung mehr als 50 Prozent deines Strebens ausmacht, wird die Befreiung "schnell" kommen. Er begründet: Wenn die Befreiung mehr als die Hälfte unseres Strebens ausmacht, fließt dieser Wunsch in alle unsere Gedanken und Taten ein.

Den Wunsch schüren

Wodurch kann man die eigene Yoga-Disziplin erhöhen, den Wunsch nach Befreiung schüren, Kraft für die tägliche Praxis bekommen? Einige Ideen hierzu:

  • Yoga gemeinsam mit anderen praktizieren.
  • Spirituelle Bücher/Geschichten lesen, motivierende Videos anschauen.
  • Mit spirituell weit entwickelten Menschen zusammensein (Satsang).
  • Im Zweifel zwischen zwei Tätigkeiten immer dem Yoga den Vorzug geben.
  • Den Tag mit Yogaübungen beginnen.
  • Aber auch: sich das Leiden aufgrund menschlichen Strebens anschauen, sich von Illusionen befreien, Unterscheidungskraft aufbauen. Man kann sich im Nachhinein auch immer wieder fragen: Hat mich dieses oder jenes wirklich glücklich gemacht, so wie ich es mir vorher erhofft hatte?
  • Sich tagtäglich den Tod vor Augen führen (schon Epiktet hat diesen Rat gegeben http://www.blueprints.de/lebensmut/epiktet-ueber-kleinliche-gedanken.html), so setzt man eher langfristige Prioritäten.
  • Du kannst auch innerlich darum bitten (oder beten), die eigene Praxis/Sehnsucht zu erhöhen, oder diesen Vorsatz als Sankalpa in Yoga-Nidra wählen.

 

{tab Übung}

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Übungsvorschlag für die kommende Woche:

Liste möglichst all Wünsche und Sehnsüchte auf, die du in dir trägst. Versuche eine Bewertung der Anteile. Mit welcher Prozentzahl deiner "Wunschkraft", deiner Sehnsucht hängst du an deinem spirituellen Ziel? Gibt es andere Wünsche in dir, welche diesem Ziel entgegenstehen? Sei offen und ehrlich. Du musst (noch) nichts ändern. Es geht hier rein um Bewusstmachung, nicht um Verurteilung.

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{tab Verwandte/ergänzende Sutras}

Verwandte/ergänzende Sutras

Siehe zu I-22:

  
hetu-phala-āśraya-ālambanaiḥ-saṁgṛhītatvāt-eṣām-abhāve-tad-abhāvaḥ
हेतुफलाश्रयालम्बनैः संगृहीतत्वादेषामभावे तदभावः

 

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jâti-deåa-kâla vyavahitânâm apyânantaryaä smëti-saäskârayor eka-rûpatvât
जातिदेशकालव्यवहितानामप्यानन्तर्यं स्मृतिसंस्कारयोरेकरूपत्वात्

 

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tataḥ tad-vipāka-anugṇānām-eva-abhivyaktiḥ vāsanānām
ततस्तद्विपाकानुगुणानामेवाभिव्यक्तिर्वासनानाम्

 

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 Sa tu dīrgha kālanairantarya satkārāsevito dṛḍhabhūmiḥ
स तु दीर्घकालनैरन्तर्यसत्कारासेवितो दृढभूमिः

 

Eigentlich ist dies auch eine zentrale Sutra, da sie ein wichtiges Übungsprinzip hervorhebt: Wenn du nicht dranbleibst, fällst du zurück. Inwiefern eine Pause in der Meditation mit einem Stein, der den Berg wieder herabrollt oder mit "Zwei Schritt vor, einen zurück" verglichen werden sollte, darüber streiten sich die Sutraskommentatoren.

Noch hilfreicher: Lese hier ihre Tipps, wie du dauerhaft falsches Üben vermeidest.

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Videos zu Sutra I-22

Leider verbleiben nur noch englische Videos, die sich mit dieser Sutra beschäftigen. Wenn du ein deutschsprachiges Video kennst, nenne es bitte unten in den Kommentaren. Danke!

 

Dr. Kausthub Desikachar zu Sutra I-21 und I-22:

Youtube-Video

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{tab Nayaswami Asha}

Nayaswami Asha zu Sutra I-22

Youtube-Video

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Swami Nikhilananda Saraswati zu Sutra I-19 bis I-24

Youtube-Video

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

https://www.yoga-welten.de

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